In dem Rechtsstreit

Beklagte und Berufungsklägerin,

gegen

Kläger und Berufungsbeklagter,

wegen Schadenersatz nach Verkehrsunfall

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2008 durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht

für Recht erkannt:

  1. Die Berufung gegen das am 07.02.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover, Az. 563 C 14485/07, wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

GRÜNDE:

I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen <n dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

II.
Die durch das Amtsgericht Hannover gem. § 511 -Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO zugelassene Berufung ist zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. §§ 18 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG in der bis zum 01.01.2008 geltenden Fassung (a. F.) einen Anspruch auf Schadenersatz auch in Höhe der seitens der Beklagten um 161,08 € gekürzten Reparaturkosten.

Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Umfang der Schadenersatzpflicht bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB.

1.
Auszugehen ist vom Grundsatz der Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB. Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte im Falle der Beschädigung einer Sache stattdessen den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Diese dem Wahlrecht des Geschädigten unterliegende sog. Ersetzungsbefugnis ermöglicht einen Schadenausgleich, ohne dass der Geschädigte das verletzte Rechtsgut dem Schädiger zur Naturalrestitution anzuvertrauen braucht. Auch hierbei soll dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen (BGH, VI ZR 398/02, Urteil vom 29.04.2003). Insoweit ist anerkannt, dass der Geschädigte in der Verwendung des ihm zustehenden Ersatzbetrages frei ist (Dispositionsfreiheit). Der Schädiger und die über § 3 Nr. 1 PflVG a. F. an seine Stelle tretende Kfz-Haftpflichtversicherung haben keinerlei Weisungsbefugnis. Insbesondere ist der Geschädigte nicht verpflichtet, den Schadenersatz tatsächlich zum Zweck der Reparatur der beschädigten Sache, vorliegend des Pkws des Klägers, einzusetzen. Vielmehr darf er – in den Grenzen des §249 Abs. 2 S. 2 BGB hinsichtlich der Mehrwertsteuer – eine rein fiktive Abrechnung auf der Grundlage einer durch Sachverständigengutachten festgestellten Reparaturkostenschätzung vornehmen und hierbei auch die in einer Markenwerkstatt in Ansatz gebrachten, üblicherweise über den Preisen einer freien Werkstatt liegenden Kosten zur Schadensberechnung ansetzen (BGH, a. a. 0.). Ebensowenig ist der Geschädigte, sofern er sich zur Durchführung einer Reparatur entschließt, verpflichtet, diese umfänglich und zum vollen geltend gemachten Schadenersatzbetrag ausführen zu lassen. Die Vornahme einer sog. „Billigreparatur“, sei es bereits vor der Geltendmachung von Ersatzansprüchen, sei es erst im nachhinein, hat auf die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Betrages keinen Einfluss.

Vorliegend stützt der Kläger seine fiktive Schadensberechnung auf das Gutachten des Ingenieur-Büros H… vom 09.10.2007, Bf. 9 ff. d. A. Die darin niedergelegten Reparaturarbeiten nebst der für sie in Ansatz gebrachten Kosten sind erforderlich i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Als erforderlich sind Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Diese sind durch das vorgelegte Sachverständigengutachten dargelegt.

Soweit die Beklagte die Erforderlichkeit in Höhe eines Betrages von 161,08 € bestreitet, da eine von ihr bezeichnete Werkstatt, die D….., die gleichen Arbeiten zu einem um diese Summe verminderten Werklohn vornehme, überzeugt dies nicht. Die Beklagte hat ausdrücklich bestätigt, dass der Kläger, hätte er die Reparatur tatsächlich zu den von ihm angesetzten Kosten ausführen lassen, einen Schadenersatzanspruch in voller Höhe hätte geltend machen können. In diesem Fall hätte sie die Erforderlichkeit der durchgeführten Arbeiten und der vom Kläger geltend gemachten Kosten ohne weiteres akzeptiert. Der Maßstab der Erforderlichkeit bestimmt sich jedoch gerade nicht danach, ob fiktive oder tatsächliche Reparaturkosten abgerechnet werden. Maßgeblich für die Schadensrestitution gem. § 249 BGB ist allein, welchen Geldbetrag der Geschädigte zum Ausgleich der durch das Schadenereignis erlittenen Einbußen benötigt, um mit wirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen den vor dem Schadenseintritt bestehenden Zustand wiederherstellen zu können. Wie zuvor dargelegt, kann der zum Ersatz Verpflichtete im Falle einer zu einem Bruchteil des durch Gutachten ermittelten Reparaturaufwands oder einer sogar kostenlos durchgeführten „Billigreparatur“ nicht einwenden, der vor Schadenseintritt bestehende Vermögenszustand habe mit geringerem Aufwand wiederhergestellt werden können mit der Folge einer entsprechenden Minderung des Ersatzanspruches. Dem entsprechend entfällt auch die Erforderlichkeit eines zur Reparatur i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB notwendigen Aufwands nicht durch eine anderweitige günstigere Reparaturmöglichkeit. Eine derartig differenzierte Bestimmung der „erforderlichen“ Kosten würde den Geschädigten indirekt dazu drängen, eine Reparatur ausführen zu lassen, um auf diese Weise einen möglichst großen Restitutionsbetrag abschöpfen zu können. Dies würde einen den gesetzlichen Vorgaben widersprechenden Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Geschädigten bedeuten.

Entsprechendes gilt für das Argument der Beklagten, der Kläger sei bei fiktiver Abrechnung in Höhe des streitigen Betrages ungerechtfertigt bereichert, sollte ihm die volle Summe zugesprochen werden und er anschließend die Reparatur zu einem geringeren Betrag ausführen lassen. Wie dargelegt, hat eine sog. „Billigreparatur“ keinen Einfluss auf die Befugnis des Geschädigten, in voller Höhe Schadenersatz zu verlangen. Nichts anderes gilt für die hier streitgegenständlichen Preisunterschiede zwischen verschiedenen Werkstätten.

Soweit die Beklagte geltend macht, dass bei tatsächlicher Reparatur die erstattungsfähigen Kosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes belaufen können, wohingegen bei fiktiver Abrechnung die veranschlagten Reparaturkosten und die Kosten für eine Ersatzbeschaffung einander punktgenau gegenüberstehen, unterstützt dies ihre Position nicht. Die zugrundeliegenden Erwägungen sind vorliegend nicht einschlägig. Wie sich aus den Gründen der zitierten Entscheidung ergibt, wird die Überschreitung des für eine Ersatzbeschaffung anzusetzenden Aufwands um 30 % wegen des in der Durchführung der Reparatur zum Ausdruck gebrachten Integritätsinteresses des Geschädigten als gerechtfertigt angesehen. Ausnahmsweise wird dem Geschädigten zugebilligt, zu Lasten des Schädigers einen höheren als den „eigentlich“ erforderlichen Betrag zur Schadensrestitution anzusetzen. Der Entscheidung lässt sich gerade nicht entnehmen, dass eine fiktive Schadensberechnung restriktiveren Maßstäben zu unterliegen habe.

2.
Der Kläger ist auch nicht unter Gesichtspunkten der Schadensminderungspflicht, § 254 Abs. 2 S. 1 BGB, oder aus Treu und Glauben, § 242 BGB, gehalten, sich auf die von der Beklagten dargelegte Reparaturmöglichkeit verweisen zu lassen.

Die Ersatzbeschaffung gem. § 249 Abs. 2 BGB steht unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit. Nach der sog. subjektbezogenen Schadensbetrachtung muss der Geschädigte bei der Schadensbehebung im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten den wirtschaftlichsten Weg wählen (BGH, VI ZR 132/04, Urteil vom 12.07.2005). Das Wirtschaftlichkeitsgebot wird seinerseits begrenzt durch den Grundgedanken des § 249 BGB, wonach die Schadensrestitution, unabhängig davon, ob sie als Naturalrestitution oder nach Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Rahmen des § 249 Abs. 2 BGB geltend gemacht wird, ausschließlich in die Verantwortungs- und Risikosphäre des Schädigers fällt. Einschränkungen dieses gesetzlichen Grundgedankens über §§ 242, 254 Abs. 2 S. 1 BGB in der Form von Weisungsbefugnissen des Schädigers oder von dem Geschädigten obliegenden Bemühungen um Schadensminderung sind allenfalls in sehr begrenztem Maße zulässig.

Zu der ähnlich gelagerten Problemstellung der Restwertanrechnung eines unfallgeschädigten Pkw nach wirtschaftlichem Totalschaden ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dem Geschädigten keinerlei eigene Recherchen aufgebürdet werden dürfen, um einen möglichst hohen Verkaufserlös zu realisieren. Auch darf er nicht auf Sondermärkte sowie Märkte mit spezialisierten Aufkäufern verwiesen werden. Vielmehr. ist er grundsätzlich zur Abrechnung auf der Basis eines Restwertes berechtigt, der von einem Sachverständigen als auf dem allgemeinen regionalen Markt erzielbarer Wert ermittelt wurde. Einen von der Versicherung behaupteten höheren möglichen Erlös muss er sich nur dann anrechnen lassen, wenn ihm ein rechtlich verbindliches und für ihn ohne jeglichen Aufwand realisierbares Angebot zugetragen wird. Hierfür muss die Versicherung den Nachweis eines bindenden Angebots entweder eines Interessenten aus dem örtlichen Umfeld des Geschädigten oder eines überregionalen Interessenten mit gleichzeitigem bindendem Angebot der kostenlosen Abholung von dem Geschädigten beibringen (BGH, VI ZR 219/98, Urteil vom 30.11.1999; VI ZR 132/04, Urteil vom 12.07-2005; VI ZR 217/06, Urteil vom 10.07.2007; OLG Düsseldorf, 1 U 267/06, Urteil vom 15.10.2007).

Dieser Grundgedanke gilt auch und erst recht dann, wenn der verunfallte Pkw für den Geschädigten nicht nur einen bloßen Rechenposten bei der Gesamtschadensermittlung darstellt, sondern wenn es um die Wiederherstellung des vorherigen Zustands geht. In diesen Fällen ist das beschädigte Eigentum als Vermögensbestandteil des Geschädigten nach wie vor vorhanden und soll als solches wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden. Es widerspräche sowohl der alleinigen Schadensverantwortlichkeit des Schädigers als auch der Dispositionsbefugnis und der schadensrechtlichen Ersetzungsbefugnis des Geschädigten, wenn er sich zur Vermeidung einer Minderung seiner Ersatzansprüche an eine Alternativwerkstatt verweisen lassen müsste.

Anders als im Rahmen der Restwertbestimmung, bezüglich derer allenfalls die Solvenz des Erwerbers relevant sein könnte, spielen zudem bei der Auswahl einer Werkstatt neben dem Preis ^weitergehende Faktoren eine entscheidende Rolle. Dies betrifft insbesondere die Fachkunde und Verlässlichkeit des Personals sowie die Qualität der Reparaturleistung. Es erscheint nicht möglich, diese in einer für den Geschädigten ohne Zusatzaufwand überprüfbaren Art und Weise in schlichter Papierform durch Vorlage eines bindenden Angebotes nachzuweisen. Ein solcher schriftlicher Nachweis, auch wenn er mit einer Beschreibung der Werkstatt verbunden ist, würde dem Geschädigten nicht die erforderliche Gewähr der Verbindlichkeit und Richtigkeit bieten. Ein von ihm beauftragter Sachverständiger hat bereits eine Schadensberechnung, vorgenommen, auf die er sich grundsätzlich verlassen kann. Es ist dem Geschädigten nicht zuzumuten, ein nunmehr von der Versicherung vorgelegtes Angebot daraufhin zu überprüfen, worin die Ursache der Preisdifferenz liegt und wodurch sie bedingt sein mag, und sich weiterhin ein Bild davon zu machen, ob im konkreten Fall für den – vermeintlich – günstigeren Preis eine Arbeit derselben Qualität erzielt werden kann. Hierzu müsste er weitere ggf. umfangreiche Recherchen. anstellen oder mangels eigener Sachkunde erneut einen Sachverständigen beauftragen. Im Falle fortbestehender Meinungsverschiedenheit mit der Versicherung müsste er zu Klärung der Gleichwertigkeit, den Gerichtsweg beschreiten mit der Gefahr des Unterliegens und hierdurch von ihm zu tragender Kosten, die oftmals die Höhe des streitigen Betrages erreichen, wenn ihn nicht sogar überschreiten dürften. Ein solcher zusätzlicher Aufwand ist ihm auch unter Berücksichtigung der sich aus §§ 254 Abs. 2, 242 BGB ergebenden Obliegenheiten nicht zuzumuten. Aus den vorstehend unter 1. dargelegten Gründen kann es in diesem Zusammenhang gleichfalls keinen Unterschied machen, ob der Geschädigte von einer fiktiven oder einer tatsächlichen Schadensberechnung ausgeht.

Gegenteiliges folgt auch nicht aus dem sog. „Porsche-Urteil“ des BGH (Az. VI ZR 398/02, Urteil vom 29.04.2003). Die dortige Aussage, ein Geschädigter müsse sich auf eine ihm mühelos und ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen, stimmt mit den allgemeinen Grundsätzen der Schadensminderungspflicht überein, wonach der Geschädigte sich von zwei von ihm als gleichwertig erkannten Werkstätten nicht im Interesse einer „Gewinnmaximierung“ die teurere aussuchen darf. Auch mag es, worüber vorliegend nicht zu entscheiden ist, zutreffen, dass er bei mehreren zur Auswahl stehenden Markenwerkstätten wegen einer Vermutung der Gleichwertigkeit der Leistungen auf die günstigere verwiesen werden kann. Eine weitergehende Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten ist dem zitierten Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Sie würde aus den genannten Gründen mit den gesetzlichen Regelungen der Schadensrestitution auch nicht übereinstimmen.

3.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §. 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711,713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Zulassungsgründe gem. § 543 Abs. 2 ZPO ersichtlich sind. Die vorliegende Entscheidung weicht bezüglich der streitgegenständlichen Fragen der Erforderlichkeit von Reparaturkosten sowie der Grenzen der Schadensminderungspflicht und von Treu und Glauben nicht von der anerkannten höchstrichterlichen Rechtsprechung ab.

QuelleUrteil des LG Hannover vom 25.06.2008, Az.: 6 S 13/08

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