103 C 193/11
verkündet am 11.05.2012

Prümm,
Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

AMTSGERICHT AACHEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat das Amtsgericht Aachen

auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2012

durch den Richter Dr. Kathstede

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 899,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.07.2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 86,63 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages leistet.

 

Tatbestand

Am 27.06.2011 kam es auf der Elsassstraße in Aachen zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Fahrzeug des Klägers (Opel Meriva, amtl. Kennzeichen AC-……., Erstzulassung 17.05.2005) und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug des Herrn B…… Die alleinige Verantwortlichkeit des Fahrers des beklagtenseitigen Fahrzeugs für den Zusammenstoß ist unstreitig.

Auf Grundlage eines Gutachtens des Sachverständigen Diefenthal vom 29.06.2011 (Bl. 10 ff. d.A.) machte der Kläger der Beklagten gegenüber unter Fristsetzung auf den 20.07.2011 einen Schaden in Höhe von 2.810,14 € geltend. Dieser setzte sich zusammen aus dem Netto-Fahrzeugschaden (2.277,60 €), den Sachverständigenkosten (507,54 €) sowie einer Kostenpauschale (25,00 €). Die Beklagte zahlte daraufhin am 26.07.2011 die Sachverständigenkosten sowie die Kostenpauschale in vollem Umfang, auf den Fahrzeugschaden jedoch nur 1.377,90 €.

Der Kläger wurde vorgerichtlich anwaltlich vertreten.

Der Kläger behauptet, bei dem Vorfall sei u. a. ein Anstoß gegen die Felge des klägerischen Fahrzeugs erfolgt.

Der Kläger hatte ursprünglich hinsichtlich der Nebenforderung beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtlich entstandene Anwaltskosten in Höhe von 120,67 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Mit Schreiben vom 28.11.2011 und somit vor der ersten mündlichen Verhandlung am 02.12.2011 hat der Kläger diesen Antrag in Höhe von 34,04 € zurückgenommen.

Der Kläger beantragt nunmehr, die Beklagte zu verurteilen,

an den Kläger 899,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2011 zu zahlen,

an den Kläger vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 86,63 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Gutachten Diefenthal treffe in mehreren Punkten nicht zu. So habe der Kläger keinen Anspruch auf die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Werkstatt, vielmehr müsse er sich aufgrund des Alters des Kfz und der Wartungsintervalle auf eine andere Werkstatt verweisen lassen. Auch die Kosten für Einstellarbeiten seien nicht zu ersetzen, da zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher sei, ob solche Arbeiten tatsächlich nötig werden würden. Entsorgungskosten würden ebenfalls nicht entstehen. Eine Beilackierung angrenzender Fahrzeugteile sei nicht erforderlich. Zuletzt sei auch ein Ersetzen der vorderen rechten Felge nicht nötig, vielmehr genüge eine Lackierung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch schriftliches und mündliches Gutachten des Sachverständigen B…… Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 21.02.2012 (Bl. 122 ff. d.A.) sowie das Sitzungsprotokoll vom 20.04.2012 (Bl. 168 ff. d.A.) verwiesen.

Die Klage wurde am 22.09.2011 zugestellt.

 

Entscheidungsgründe

  1. Die Klage ist zulässig. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 20 StVG, § 23 Nr. 1 GVG.
  2. Die Klage ist begründet.
  3. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch in Höhe von 899,70 Euro aus §§ 7, 18 StVG, 115 WG zu.

Die Beklagte ist gemäß §§ 7, 18 StVG für den entstandenen Schaden dem Grunde nach in vollem Umfang einstandspflichtig. Soweit die Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat, dass durch den Anstoß auch die Felge beschädigt wurde (Bl. 156 d.A.), ist dies unsubstantiiert. Dieses Bestreiten erfolgte erstmals im Schriftsatz vom 21.03.2012 (Bl. 153 ff. dA.); über einen Zeitraum von neun Monaten war eine Beschädigung der Felge unstreitig gewesen. Zuvor war stets nur über die Höhe des entstandenen Schadens an der Felge debattiert worden. Zwar war die Beklagte beim Unfall nicht vor Ort und darf daher mit Nichtwissen bestreiten. Da die Beklagte jedoch keine Anhaltspunkte mitteilt, aufgrund derer sie zu dem Schluss gekommen ist, dass der Zusammenstoß nicht in der vom Kläger geschilderten Form stattgefunden hat, kann dieses Bestreiten angesichts des vorherigen entgegenstehenden Vortrags nur als Bestreiten ins Blaue hinein bezeichnet werden. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich ein Anstoß zwischen den beiden Fahrzeugen im Bereich der rechten vorderen Felge unstreitig ereignet hat Darüber hinaus traf die Beklagte die Pflicht, sich das Wissen über Geschehnisse im Bereich ihrer eigenen Wahrnehmungsmöglichkeit zu beschaffen. Dies gilt auch für den Kfz-Haftpflichtversicherer im Prozess des Unfallgeschädigten (OLG Frankfurt VersR, 1974,585).

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch besteht auch der Höhe nach. Aufgrund des schädigenden Ereignisses ist die Beklagte nach § 249 I BGB verpflichtet, dem Kläger alle Aufwendungen zu erstatten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zur Schadensbehebung für zweckmäßig und notwendig halten durfte.

Somit sind dem Kläger seine Netto-Reparaturkosten zu ersetzen. Der Höhe nach sind grundsätzlich die Kosten einer Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt zu ersetzen (BGH NJW 03, 2086), wobei bei mehreren vorhandenen Fachwerkstätten die niedrigsten Stundenverrechnungssätze maßgeblich sind. Der Kläger durfte hier aufgrund der im Gutachten Diefenthal genannten Stundenverrechnungssätze der Fa. Th….. abrechnen. Diese stellen die niedrigsten Sätze der verfügbaren Opel-Werkstätten dar. Der Geschädigte muss sich von der Beklagten nicht auf die Stundenverrechnungssätze einer nicht markengebundenen, freien Werkstatt verweisen lassen. Zwar kann bei einem Fahrzeugalter von mehr als drei Jahren – wie hier – der Haftpflichtversicherer im Rahmen der fiktiven Abrechnung auf eine günstigere und technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen, wenn der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm die Reparatur außerhalb einer Vertragswerkstatt seiner Fahrzeugmarke unzumutbar machen, insbesondere, weil er sein Fahrzeug in der Vergangenheit stets in einer Vertragswerkstatt warten und reparieren ließ (Wenker, VersR 2012, 290 mit zahlreichen Nachweisen aus der aktuellen Rspr. Des BGH). Solche besonderen Umstände hat der Kläger hier jedoch vorgetragen und bewiesen. Bei dem Auto des Klägers handelt es sich um ein sogenanntes „scheckheftgepflegtes“ Kfz. Das Kfz wurde in regelmäßigen Intervallen in markengebundenen Werkstätten gewartet, wie sich aus dem vom Kläger vorgelegten Serviceheft (Bl. 23 ff. d.A.) ergibt. Auch der Sachverständige B…… bestätigte in seinem Gutachten vom 21.02.2012 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2012, dass ein Kaufinteressent beim Vorlegen des Serviceheftes von einem scheckheftgepflegten Kfz ausgehen würde. Diesen logischen und nachvollziehbaren Ausführungen schließt sich das Gericht an. Dem Kläger stehen somit die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Werkstatt, hier der Fa.Th…. zu.

Auch die Kosten für Einstellarbeiten sowie die Erneuerung der Felge hat die Beklagte vollumfänglich zu ersetzen. Im Rahmen des § 249 BGB ist der hypothetische schadensfreie Zustand ohne Abstriche wiederherzustellen. Dazu gehört auch die uneingeschränkte Verkehrssicherheit des Kfz. Die vordere rechte Spur befand sich, ausweislich des zur Akte gereichten Vermessungsprotokolls außerhalb des Toleranzbereichs und war daher zu korrigieren.

Hinsichtlich der Felge ließ sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob der Anstoß die Felge im Innern beschädigt hatte. Der Sachverständige B….. führt in seinem Gutachten aus, dass eine solche Beschädigung hinsichtlich der sonstigen Schäden und der Spurverstellung nicht auszuschließen war. Die einzige Möglichkeit der gesicherten Überprüfung würde eine röntgenologische Untersuchung darstellen, jedoch würde mit einer solchen der Kläger gegen seine Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB verstoßen. Bei einer Abwägung der anfallenden Kosten für eine neue Felge sowie der Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung und den potentiell drohenden Gefahren, darf ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten die Erneuerung der Felge für notwendig halten.

Die Beklagte hat auch die geltend gemachten Entsorgungskosten zu ersetzen, die durch die Zerkleinerung, Lagerung und den Transport der beschädigten Teile durch die Reparaturwerkstatt anfallen. Diese werden – wie der Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar ausführte – üblicherweise dem Kunden in Rechnung gestellt und sind daher hier von der Beklagten zu ersetzen.

Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte umfasst schließlich auch die Kosten für eine Beilackierung der an den Schaden angrenzenden Karosserieteile. Dies steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Sachverständige hat hierzu in seinem Gutachten vom 21.02.2012 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2012 ausgeführt, dass das Farbergebnis einer Lackierung von einer Fülle unterschiedlicher Faktoren abhängt. Selbst wenn der Lack in der Werkshalle noch identisch aussehen sollte, kann sich der Eindruck rapide ändern, sobald das Kfz im Sonnenlicht betrachtet wird. In diesem Falle müsste man die Lackierung wiederholen. Im Gegensatz dazu hat die Beilackierung eine wesentlich höhere Erfolgschance, da dort leichte Farbunterschiede weniger auffällig sind. Da im Rahmen des § 249 BGB der Zustand wiederhergestellt werden soll, der ohne das schädigende Ereignis vorliegen würde, muss sich der Geschädigte nicht mit einem Farbtonunterschied abfinden. Aufgrund der diversen Risiken bei einer nur teilweisen Lackierung, die darin bestehen, dass ggf. weitere Lackiervorgänge erforderlich sind und die Summe der hierdurch anfallenden Kosten die einmalige Beilackierung übersteigt, würde ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch zur Vermeidung steigender Kosten durch mehrfaches Lackieren die erfolgversprechendere Variante der Beilackierung wählen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Ziff. 3, 288 BGB, da die Beklagte mit der Zahlung des Teilbetrages am 26.07.2011 (Bl. 20 d.A.) zu erkennen gegeben hat, die Leistung im Übrigen ernsthaft und endgültig verweigern zu wollen. Eine Mahnung auf den 20.07.2011 ist nicht dargelegt. Die erstmalige Geltendmachung des Anspruchs stellt keine Mahnung dar.

  1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaftskosten gem. § 249 BGB (BGH NJW 06, 1065) aus einem Gegenstandswert von 2.810,14 Euro in Höhe von 86,63 € (= 1,3 Geschäftsgebühr 245,70 € + 20 € Post- und Telekommunikationspauschale + 50,48 € MwSt abzüglich 229,55 € gezahlter Betrag). Der Kläger durfte sich zur Klärung des Schadensfalles anwaltlicher Hilfe bedienen. Die Angelegenheit hatte einen derart hohen Schwierigkeitsgrad, dass es letztlich sogar zum Prozess kam.

III. Die Kostenentscheidung beruht wegen der teilweisen Klagerücknahme auf § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 899,70 €

Dr. Kathstede

Quelle: Urteil des Amtsgericht Aachen vom 11.05.2012, Az.: 103 C 193/11

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