BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VI ZR 120/06 

   Verkündet am:
06 . März 2007
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: ja

BGHR: ja

BGB § 249 Hd

Benutzt der Geschädigte im Totalschadensfall (hier: Reparaturkosten höher als 130% des Wiederbeschaffungswerts) sein unfallbeschädigtes, aber fahrtaugliches und verkehrssicheres Fahrzeug weiter, ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen (Fortführung von Senat, BGHZ 143, 189 ff.).

BGH, Urteil vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06 – LG Heilbronn, AG Heilbronn

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 24. Januar 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 9. Mai 2006 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der Klage in einem 100 € nebst Zinsen übersteigenden Betrag in dem Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. Dezember 2005 zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung des Klägers das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. Dezember 2005 im Kostenpunkt und in der Sache abgeändert. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner an den Kläger 800 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 14. Mai 2005 sowie 51,27 € zu zahlen.

Die weitergehenden Rechtsmittel des Klägers werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 11% und haben die Beklagten 89% gesamtschuldnerisch zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 26. März 2005, bei dem sein Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt. Der Beklagte zu 1 als Fahrer des am Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs und die Beklagte zu 2 als dessen Haftpflichtversicherer haben für die Unfallschäden unstreitig in voller Höhe einzustehen. Die Parteien streiten nur noch um die Höhe des Restwerts des Fahrzeugs des Klägers.

Nach dem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten hat das Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von 1.800 € brutto und einen Restwert von 500 € brutto. Den Reparaturaufwand kalkulierte der Sachverständige in Höhe von 2.511,62 € brutto. Der Kläger benutzt sein fahrtüchtiges und verkehrssicheres Fahrzeug unrepariert weiter. Mit Schreiben vom 14. April 2005 legte die Beklagte zu 2 dem Kläger zwei Restwertangebote vor. Eines der Angebote belief sich auf 550 € brutto, das andere auf 1.300 € brutto. Das zuletzt genannte Angebot stammte von einer Firma aus Norddeutschland, die anbot, das Fahrzeug beim Kläger gegen Barzahlung und kostenfrei abzuholen. Die Beklagte zu 2 legte der Schadensabrechnung das Restwertangebot von 1.300 € zugrunde und erstattete an den Kläger 500 €. Der Kläger errechnet einen Mittelwert von 400 € aus den dem Sachverständigengutachten zugrunde liegenden Restwertangeboten von 300 € und 500 €. Er verlangt mit der Klage weitere 900 € nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten. Die zuletzt genannte Forderung haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 25. November 2005 unstreitig gestellt.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit Vorrang vor dem Integritätsinteresse des Geschädigten und seiner Ersetzungsbefugnis habe, wenn sowohl die tatsächlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert als auch der tatsächlich erzielbare Restwert den vom Sachverständigen ermittelten Restwert um mehr als 30% übersteigen. Unter solchen Umständen würde ein ökonomisch denkender Geschädigter nicht zögern, durch Verkauf seines Unfallfahrzeugs den höheren Restwert zu erzielen. Daher müsse sich der Geschädigte so behandeln lassen, als hätte er dies getan, auch wenn er das Fahrzeug nicht verkaufe, sondern (unrepariert) weiter benutze.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger muss sich bei der Schadensabrechnung auf Gutachtensbasis nicht den Restwert von 1.300 € anrechnen las-sen, obwohl der Sachverständige das verunfallte Fahrzeug nur mit 500 € bewertet hat.

  1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Geschädigte im Totalschadensfall, wenn – wie hier – die Reparaturkosten des Fahrzeugs den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30% übersteigen, nur Ersatz der für die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs erforderlichen Kosten, also den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts, verlangen kann. Hingegen hat der Schädiger entgegen der Auffassung der Revision nicht die für eine Reparatur des Fahrzeugs erforderlichen Mittel zu erstatten. Bei Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30% überschreiten, besteht wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots kein schützenswertes Interesse an der Wiederherstellung des Fahrzeugs. Auch die Ersatzbeschaffung ist Naturalrestitution, deren Ziel sich nicht auf eine (Wieder-)Herstellung der beschädigten Sache beschränkt; es besteht in umfassenderer Weise gemäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (Senatsurteile BGHZ 115, 364, 368; 115, 375, 378; 154, 395, 397; 162, 161, 164 m.w.N.). Die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution steht ebenfalls unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit (Senatsurteile BGHZ 115, 364, 372; 143, 189, 193; 163, 362, 365; vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91 – VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 – VersR 1993, 769; vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – VersR 2005, 381, 382). Das bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat – sog. „subjektbezogene Schadensbetrachtung“ (BGHZ 115, 364, 368 f.; 115, 375, 378; 132, 373, 376; 143, 189, 193; 163, 362, 365). Will der Geschädigte in einem solchen Fall sein Fahrzeug weiter nutzen, muss er sich den Restwert seines Fahrzeuges anrechnen lassen, auch wenn er diesen nicht realisiert, da ihm ein Integritätsinteresse hinsichtlich des beschädigten Fahrzeugs nicht zugebilligt werden kann. Nach sachgerechten Kriterien ist festzustellen, in welcher Höhe dem Geschädigten angesichts des ihm verbliebenen Restwertes seines Fahrzeuges durch den Unfall überhaupt ein Vermögensnachteil erwachsen ist. Dadurch wird verhindert, dass sich der Geschädigte an dem Schadensfall bereichert (vgl. Senatsurteile BGHZ 154, 395, 398; 163, 180, 184; vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – aaO).

    Im Veräußerungsfall leistet der Geschädigte im Allgemeinen dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 163, 362, 366; 143, 189, 193; vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91 – aaO, 458; vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 – aaO, 770 und vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – aaO). Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Auch kann er vom Schädiger nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könn-te (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – und BGHZ 163, 362 jeweils aaO).

  2. Damit ist die Auffassung des Berufungsgerichts nicht vereinbar, dass der Kläger sich bei der Schadensabrechnung auf der Grundlage einer Schadensschätzung einen über das Internet ermittelten Restwert in Höhe von 1.300 € anrechnen lassen müsse, obwohl der Sachverständige den Restwert des Unfallfahrzeugs lediglich mit 500 € bewertet hat und Gesichtspunkte, die auf eine fehlerhafte Begutachtung durch den Sachverständigen hinweisen könnten, von den Beklagten nicht vorgetragen werden und auch nicht ersichtlich sind.

    1. Zwar können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, ohne weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen und durch die Verwertung seines Fahrzeugs in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden auszugleichen (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – aaO). Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil anderenfalls die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, wonach es Sache des Geschädigten ist, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt. Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden. Dies wäre jedoch der Fall, müsste er sich einen Restwert anrechnen lassen, der lediglich in einem engen Zeitraum auf einem Sondermarkt zu erzielen ist.
    2. Nutzt der Geschädigte sein Fahrzeug nach dem Unfall weiter, obwohl es wegen der hohen Kosten nicht mehr reparaturwürdig ist, gilt für die Abrechnung des Schadens auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nichts anderes. Auch in einem solchen Fall kann er den Restwert, der vom Sachverständigen nach den örtlichen Gegebenheiten ermittelt worden ist, der Schadensabrechnung zugrunde legen. Er muss sich nicht an einem Angebot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, das vom Versicherer über das Internet recherchiert worden ist. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass andernfalls der vollständige Schadensausgleich nicht gewährleistet würde. Der Versicherer des Schädigers könnte mit einem entsprechend hohen Angebot den Verkauf des Fahrzeugs erzwingen. Bei Weiternutzung und späterem Verkauf in eigener Regie liefe der Geschädigte jedenfalls Gefahr, wegen eines wesentlich niedrigeren Verkaufpreises für den Kauf des Ersatzfahrzeugs eigene Mittel aufwenden zu müssen. Dies entspricht nicht dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes, nach dem der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt (vgl. Senatsurteile BGHZ 66, 239, 246; 143, 189, 194 f.; 163, 362, 367). Der Streitfall ist nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen das Fahrzeug durch den Geschädigten tatsächlich verkauft wird. Der erzielte Restwert steht dann bei der Schadensabrechnung fest und es liegt auf der Hand, in welcher Höhe der Schaden durch den erzielten Verkaufspreis ausgeglichen ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 163, 362, 367; 163, 180, 185, 187; vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – aaO).
  3. Im Streitfall genügte der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast, indem er der Schadensabrechnung den Restwert, den der Sachverständige ermittelt hatte, zugrunde legte. Soweit die Beklagten geltend machen, er hätte einen höheren Preis erzielen können, wenn er das Fahrzeug an den von ihnen benannten Restwertaufkäufer verkauft hätte, war dazu der Kläger nicht verpflichtet. Da die Beklagten die Schätzung des Sachverständigen für den regionalen Markt des Klägers nicht in Zweifel gezogen haben, ist der Schadensabrechnung der geschätzte Restwert von 500 € zugrunde zu legen. Hingegen besteht keine Veranlassung für die Bildung eines Mittelwerts aus Restwert-angeboten im Gutachten zwischen 300 € und 500 €. Dass für das Fahrzeug 500 € erzielt werden könnten, ist aufgrund des Sachverständigengutachtens, auf das sich der Kläger stützt, erwiesen. Da ein Verkauf tatsächlich nicht getätigt worden ist, stellt sich die Frage eines geringeren erzielten Kaufpreises nicht (vgl. Senatsurteil BGHZ 163, 362, 368).

III.

Weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf es im Streitfall nicht. Die Sache ist deshalb zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsurteil und das Urteil des Amtsgerichts sind im Sachausspruch – wie ge-schehen – abzuändern.
12
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Müller
Greiner 
Diederichsen
Stöhr
Zoll

Vorinstanzen:

AG Heilbronn, Entscheidung vom 16.12.2005 – 14 C 3515/05
LG Heilbronn, Entscheidung vom 09.05.2006 – 3 S 2/06

Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs 

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