18 C 84/12 |
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Verkündet am 11.07.2011
Klothen |
AMTSGERICHT HEINSBERG
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Heinsberg auf die mündliche Verhandlung vom 13.06.2012 durch den Richter am Amtsgericht Dr. Heinemann
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Forderung des Sachverständigen H. aus 52538 Selfkant in Höhe von 672,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 25.2.2012 freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Tatbestand
Die Klägerin macht Restschadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 24.1.2012 geltend. Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherin des Unfallgegners, dessen alleinige Haftung dem Grunde nach außer Streit steht.
Die Klägerin holte nach dem Unfall ein Gutachten des Sachverständigen H. ein. Den nach diesem Gutachten ermittelten Unfallschaden regulierte die Beklagte nur teilweise und verwies auf eine Stellungnahme der DEKRA. Darauf holte die Klägerin ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen ein, der hierfür 672,35 € berechnete und hierüber unter dem 17.2.2012 abrechnete. Die Beklagte glich hiernach den vom Sachverständigen ursprünglich ermittelten Schaden vollständig aus. Ferner zahlte sie die vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe einer 1,3 Gebühr.
Mit der Klage begehrt die Klägerin die Freistellung von den Kosten für die Erstellung des zweiten Gutachtens sowie die Freistellung in Höhe der Differenz zwischen der erstatteten 1,3 Gebühr und der von ihrem Prozessbevollmächtigten abgerechneten 2,0 Gebühr.
Sie behauptet, der Sachverständige habe bei der Erstellung seines zweiten Gutachtens die in der Rechnung von 17.2.2012 angegebene Zeit von insgesamt 5,0 Stunden tatsächlich aufgewendet. Sie ist der Auffassung der Gutachter könne bei ei ner zweiten Stellungnahme nach Stunden abrechnen.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von der Forderung des Sachverständigen H. in Höhe von € 672,35 nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 25.2.2012 freizustellen;
die Klägerin von Rechtsanwaltsvergütungsansprüche der Rechtsanwälte Busch und Kollegen aus 52525 Heinsberg in Höhe von 267,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 25.2.2012 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, der Sachverständige habe maximal 1,5 Stunden gebraucht. Sie ist der Auffassung , dass es nicht sein könne, dass das Zweitgutachten deutlich teurer sei als das Erstgutachten, das unstreitig lediglich 402,22 € gekostet habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in der Hauptsache begründet.
Der Anspruch auf Freistellung von den weiteren Gutachterkosten folgt aus §§ 7, 18 StVG ,115 VVG, 249 ff BGB.
Zu den grundsätzlich zu ersetzenden Kosten zählen auch die Kosten der Schadensfeststellung d .h. die Gutachterkosten. Verweigert die ausgleichsverpflichtete Haftpflichtversicherung den vollständigen Ausgleich der privatgutachterlich festgestellten Schäden unter Hinweis auf ein von ihr eingeholtes „Gegengutachten“ oder eine vergleichbare inhaltlich begründete Stellungnahme, ist es dem Geschädigten ohne weiteres zuzumuten diese dem ursprünglichen Gutachter zur Überprüfung vorzulegen. Nur so ist es dem regelmäßig nicht sachkundigen Geschädigten überhaupt möglich etwaige Ansprüche sachgerecht geltend zu machen bzw. weiterzuverfolgen. Ergibt sich im Rahmen einer sodann eingeholten zweiten Stellungnahme des ursprünglicnen Gutachters, dass dessen Schadensfeststellungen zutreffend waren, ist der Schädiger bzw. dessen Versicherer verpflichtet, auch die notwendigen Kosten der zweiten Stellungnahme zu tragen. Diese sind unmittelbar schadenskausal und auch dem Schädiger objektiv zurechenbar.
Der Höhe nach ist der Sachverständige nicht mehr verpflichtet, sich an ein streitwertabhängiges Honorar zu halten. Vielmehr kann er dann auch nach Stunden abrechnen. Diese ggü. der Erstbegutachtung unter Umständen deutlich höheren Kosten sind auch „notwendig“ im Sinne des Schadensrechts und daher vom Schädiger auszugleichen. Denn dieser hat durch seine Kürzungshandlungen die Notwendigkeit eines Zweitgutachtens überhaupt erst hervorgerufen. Dem Geschädigten – wie oben ausgeführt in aller Regel nicht sachkundig – kann es in dieser Situation nicht zugemutet werden, sich einen neuen ggf. preiswerteren Gutachter zu suchen. Er darf auch unter schadensrechtlichen Gesichtspunkten „seinen“ Gutachter behalten, auch wenn dieser fortan nach Stunden abrechnet Würde hier vom Geschädigten anderes verlangt, würde dieser im Regulierungsverfahren nachhaltig geschwächt.
Für eine Vernehmung des Sachverständigen zu der Behauptung, dass er für die zweite Stellungnahme tatsächlich fünf Stunden aufgewendet habe, bestand trotz des einfachen Bestreitens der Beklagten keine Veranlassung. Hierzu hätte es auf der Ebene der Darlegung von der Beklagten nähere Ausführungen dazu bedurft, worauf die angemeldeten Zweifel konkret beruhten. Umfang und Inhalt der ergänzenden Begutachtung indizieren vielmehr dass der Zeitaufwand in der abgerechneten Größenordnung lag. Der Sachverständige hat sich über fünf – einzeilig beschriebene Seiten akribisch mit den Einwänden des DEKRA-Gutachtens auseinandergesetzt. Sie weisen eine erhebliche technische Tiefe und Substanz auf, die mit Sicherheit nicht in den von der Beklagten behaupteten 1, 5 Std. – inklusive der Einarbeitung in die DEKRA-Stellungnahme – erzielt werden können. Die Beklagte hat den Zeitaufwand daher offenkundig ins Blaue hinein bestritten.
Abzuweisen war die Klage, soweit – als Nebenforderung – die Freistellung von weiteren Rechtsanwaltsgebühren begehrt worden ist. Dass die Beklagte die ursprünglich ermittelten Kosten nicht ad hoc vollständig übernommen hat, führt nicht dazu, die Sache gebührenrechtlich als überdurchschnittlich einzustufen. Es ist überhaupt nicht erkennbar, inwieweit die Angelegenheit einen besonderen quantitativen oder qualitativen Einsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin erfordert hat. Der vorgelegte Schriftverkehr deutet – auch wenn es darauf vorliegend im Ergebnis nicht ankam – auf eine im unteren durchschnittlichen Bereich liegende Sache hin. Exemplarisch für Art und Umfang einer überdurchschnittlichen Sache sei an dieser Stelle der Leitsatz einer Entscheidung des AG Erfurt (Schaden-Praxis 2007, 21) zitiert, in dem es heißt:
„Dem Rechtsanwalt steht eine 2,0 Geschäftsgebühr zu, wenn er mehr als 30 Schriftsätze anfertigen muss und für die Bezifferung des Verdienstausfalls bei einem Selbständigen auch die Bilanz und Buchhaltung auszugsweise prüft.“
Wenn wie hier die Einholung eines zweiten Gutachtens beauftragt wird, erfordert dies vom Rechtsanwalt keine technische Einarbeitung in komplexe fachfremde Sachverhalte, sondern stellt einen Routinevorgang dar. Der Ansatz einer 2,0 Gebühr unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. Ein Gebührengutachten ist nur im Gebührenstreit zwischen Anwalt und Mandanten einzuholen – und wäre überdies nicht bindend. Soweit der Bundesgerichtshof beim Ansatz einer 1,5-Gebühr von einem nicht überprüfbaren Ermessensspielraum ausgeht, waren diese Entscheidungen hier nicht einschlägig, da die Differenz zwischen einer 1,3 und einer 2,0 Gebühr weit außerhalb des 20 % -igen Spielraumes liegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 II Nr. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläuf i gen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11 , 713 ZPO.
Streitwert: bis 900 €
Dr. Heinemann
Quelle: Urteil des Amtsgericht Heinsberg vom 11.07.2012, Az.: 18 C 84/12